Reden und Texte zu offiziellen Anlässen der Gemeinde Furth

Volkstrauertag

Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Jeder von Ihnen und euch ist heute aus anderen Beweggründen an diesen Ort gekommen. Wenn wir hinter uns auf die Säule schauen sehen wir das Gedenken an die Gefallenen der beiden Weltkriege. Wenn wir in die Intention des heutigen Tages blicken erinnert der Volkstrauertag an ALLE Opfer von Terror, Krieg und Gewalt. Seit ein paar Jahren gedenken wir auch den gefallenen Soldaten der Bundeswehr. Ich war selbst 8 Jahre Soldat und bin seit diesem Jahr wieder Reservist.  Der Wiedereintritt war eine bewusste Entscheidung. Seit dem Aussetzen der Wehrpflicht ist der Staatsbürger in Uniform aus dem öffentlichen Erscheinungsbild verschwunden. Wir Bürgerinnen und Bürger setzen uns aber nur mit den Dingen auseinander die wir sehen. Im Sommer mit dem Strauchrückschnitt und dem Nachbarschaftslärm und im Winter mit dem Schnee. Dazwischen scheint das Andere jeweils nicht zu existieren.

Der innere Friede. Umgeben von Freunden, assoziiert in der NATO und bald ohne eine Generation die den Schrecken des Krieges als Zivilbevölkerung noch am eigenen Leibe erleben musste, fehlt uns das Bewusstsein dafür was Landesverteidigung bedeutet. Und so kommen erste Stimmen die jenseits von Tucholsky Soldaten nicht nur als Mörder bezeichnen sondern darüber hinaus die Notwendigkeit der Bundeswehr insgesamt in Frage stellen.

Dieser verkürzte Blick eines überbordenden Wohlstands beunruhigt mich. Auch wenn es mancher nicht wahr haben will. Aber der bewaffnete Kampf um Leben und Tod ist ebenso wie der Einsatz als Frontsoldat im Schützengraben des Ersten Weltkriegs nur ein Bruchteil eines soldatischen Alltags. Der Auftrag der Bundeswehr ist in aller erster Linie der Humanität und Mitmenschlichkeit gewidmet. Das SanLehrRegiment „Niederbayern“ hat diese Mitmenschlichkeit in ihrem Wahlspruch: Humanitas suprema lex! Die Mitmenschlichkeit ist das oberste Gesetz. Die Einsatztätigkeit der Soldaten der Bundeswehr  ist davon gekennzeichnet, dass sie in unmenschlichen, lebensverachtenden Umständen „arbeiten“ müssen, damit die Menschlichkeit hinter ihnen geschützt werden kann. Opfer lassen sich dabei nicht vermeiden. Diese werden gezeigt, gezählt, geschätzt – Aber es wird nie hochgerechnet, wie viele Menschen durch solche Einsätze am Leben geblieben sind, nicht vertrieben oder vergewaltigt wurden. Es ist nicht das Ziel eines Soldaten einen Menschen zu töten. So merkwürdig es klingt. Das Ziel ist es immer nur den Gegner von etwas abzuhalten. Würde der Gegner einfach gehen, müsste niemand kämpfen.   

Der vorderste Einsatz und die vorderste Ausbildung galt und gilt der humanitären Sicherung. Der Versorgung von Bevölkerung und der damit verbundene Schutz für den, der sich selbst nicht zu schützen im Stande ist.  Die Soldaten die diesen Schutz gewährleisten sind trotz ihres zum Teil unmenschlichen Umfeldes immer noch Menschen mit einer Seele - mit Familien zu Hause. Sie erleben im Einsatz oft unvorstellbares Leid und tragen einen großen Teil des Erlebten mit nach Hause. Als der Brigadegeneral Jens Arlt zu seinen Erlebnissen um die Evakuierung von Kabul befragt wurde schilderte er wie gestandene und kampferprobte Soldatinnen und Soldaten geweint haben, weil sie die Bilder der Verzweiflung der Menschen nachts nicht aus ihren Köpfen bekamen.

Diese Bild des körperlich unverwundeten aber in der Seele getöteten Soldaten  - des Veteranen - ist das neue Gesicht des Krieges. Die Menschen- und Materialschlachten der großen Weltkriege sind Gott sei dank Vergangenheit. Mit dieser Zeit ist der Ruf nach Härte und Männlichkeit zum Glück der Mitmenschlichkeit gewichen. Die Kriege des 21. Jahrhunderts finden nicht mehr wegen territorialer Ansprüche statt. Der Gegner ist nicht vergleichbar. Im Fachjargon nennt man die neue Situation die asymmetrische Kriegsführung. Wenn gegen die Genfer Konventionen in Afghanistan zuerst die Sanitäter beschossen wurden, weil dann die Kampfmoral der Truppe am schnellsten sank.

 

Dieser körperlich unversehrte aber in der Seele gebrochene Soldat lebt zwar. Jedoch stelle ich die Frage, ob man noch von Leben sprechen kann, wenn man Angst hat einen Park zu betreten, weil die Stimme im Kopf sagt: Liegen da vielleicht Sprengminen? Wenn man bei jeder hastigen Bewegung eines anderen erschrickt und in größeren Menschenansammlungen Angst hat, weil der Instinkt eben nicht mehr in der Lage ist die Lage einzuschätzen. Diese Soldatinnen und Soldaten haben sich freiwillig für den Einsatz gemeldet. Sie haben damit ihr Leben und ihre Gesundheit für andere riskiert, welche nicht in der Lage waren sich selbst zu verteidigen. Auf diese Männer und Frauen möchte ich heute schauen. Ich möchte damit den Opferbegriff des Volkstrauertag erweitern. Erweitern auf die Soldatinnen und Soldaten die Leben und unter uns sind. Die aber durch Ihre Erfahrungen aus Krieg und Terror unsichtbar für das Leben gezeichnet sind. Ich möchte Sie aufrufen und bitten allen Soldaten und all diesen Veteranen freundlich zu begegnen, wenn Sie doch widererwartend einem Staatsbürger in Uniform begegnen. Ich kann Ihnen versichern. Es gibt einen einfachen Satz den Sie in diesem Moment sagen können. Ein Satz der dem Soldaten zeigt wofür er kämpft. Der vielleicht dazu beiträgt sein unsichtbares Leid zu lindern.  Dieser Satz lautet: „Danke für deinen Dienst!“

Die Bundeswehr ist ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Und wir als mündige Bürgerinnen und Bürger haben die Aufgabe jenseits jedes Militarismus unserer Bundeswehr Wertschätzung entgegen zu bringen. Und das egal ob die Bundeswehr jetzt bei Corona in den Krankenhäusern, bei der Oderflut, im Ahrtal oder eben in Mali dafür kämpft das es anderen Menschen besser geht. Diese Mitbürgerinne und Mitbürger in Uniform setzen sich dafür ein, dass Not und Leid genommen wird und Sicherheit entsteht.  Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern der NATO setzen sich unsere Soldaten dafür ein, dass wir auch morgen wieder im Frieden aufwachen können.  

Über den Frieden sprechen heißt über etwas sprechen, das es nicht gibt. Wahren Frieden gibt es nicht auf unserer Erde und hat es auch nie gegeben, es sei denn als Ziel, das wir offenbar nicht zu erreichen vermögen. Solange der Mensch auf dieser Erde lebt, hat er sich der Gewalt und dem Krieg verschrieben, und der uns vergönnte, zerbrechliche Friede ist ständig bedroht.

Müssen wir uns nach diesen Jahrtausenden ständiger Kriege nicht fragen, ob der Mensch nicht vielleicht schon in seiner Anlage fehlerhaft ist? Und sind wir unserer Aggressionen wegen zum Untergang verurteilt? Wir alle wollen ja den Frieden. Gibt es denn da keine Möglichkeit, uns zu ändern, ehe es zu spät ist? Könnten wir es nicht vielleicht lernen, auf Gewalt zu verzichten? Könnten wir nicht versuchen, eine ganz neue Art Mensch zu werden? Wie aber sollte das geschehen, und wo sollte man anfangen?

Ich möchte zu Ihnen über die Kinder sprechen. Über meine Sorge um sie und meine Hoffnungen für sie. Die jetzt Kinder sind, werden ja einst die Geschäfte unserer Welt übernehmen, sofern dann noch etwas von ihr übrig ist. Sie sind es, die über Krieg und Frieden bestimmen werden und darüber, in was für einer Gesellschaft sie leben wollen. In einer, wo die Gewalt nur ständig weiterwächst, oder in einer, wo die Menschen in Frieden und Eintracht miteinander leben. Gibt es auch nur die geringste Hoffnung darauf, daß die heutigen Kinder dereinst eine friedlichere Welt aufbauen werden, als wir es vermocht haben ? Und warum ist uns dies trotz allen guten Willens so schlecht gelungen ?

 

Die Männer, die die Geschicke der Völker und der Welt lenken,  sind keine höheren Wesen mit übernatürlichen Gaben und göttlicher Weisheit. Sie sind Menschen mit den gleichen menschlichen Schwächen wie ich. Aber sie haben die Macht und können jeden Augenblick schicksalsschwere Entscheidungen fällen, je nach den Antrieben und Kräften, von denen sie beherrscht werden. So kann es zum Krieg kommen, nur weil ein einziger Mensch von Machtgier oder Rachsucht besessen ist, von Eitelkeit oder Gewinnsucht, oder aber - und das scheint das häufigste zu sein - von dem blinden Glauben an die Gewalt als das wirksamste Hilfsmittel in allen Situationen. Entsprechend kann ein einziger guter und besonnener Mensch Katastrophen verhindern, eben weil er gut und besonnen ist und auf Gewalt verzichtete.

Die Intelligenz, die Gaben des Verstandes mögen zum größten Teil angeboren sein, aber in keinem neugeborenen Kind schlummert ein Samenkorn, aus dem zwangsläufig Gutes oder Böses sprießt. Ob ein Kind zu einem warmherzigen, offenen und vertrauensvollen Menschen mit Sinn für das Gemeinwohl heranwächst oder aber zu einem gefühlskalten, destruktiven, egoistischen Menschen, das entscheiden die, denen das Kind in dieser Welt anvertraut ist, je nachdem, ob sie ihm zeigen, was Liebe ist, oder aber dies nicht tun.

»Überall lernt man nur von dem, den man liebt«, hat Goethe einmal gesagt, und dann muß es wohl wahr sein. Ein Kind, das von seinen Eltern liebevoll behandelt wird und das seine Eltern liebt, gewinnt dadurch ein liebevolles Verhältnis zu seiner Umwelt und bewahrt diese Grundeinstellung sein Leben lang. Und das ist auch dann gut, wenn das Kind später nicht zu denen gehört, die das Schicksal der Welt lenken. Sollte das Kind aber wider Erwarten eines Tages doch zu diesen Mächtigen gehören, dann ist es für uns alle ein Glück, wenn seine Grundhaltung durch Liebe geprägt worden ist und nicht durch Gewalt.

Blicken wir nun einmal zurück auf die Methoden der Kindererziehung früherer Zeiten. Ging es dabei nicht allzu häufig darum, den Willen des Kindes mit Gewalt, sei sie physischer oder psychischer Art, zu brechen? Wie viele Kinder haben ihren ersten Unterricht in Gewalt »von denen, die man liebt«, nämlich von den eigenen Eltern erhalten und dieses Wissen dann der nächsten Generation weitergegeben! Und so ging es fort, »Wer die Rute schont, verdirbt den Knaben«, heißt es schon im Alten Testament, und daran haben durch die Jahrhunderte viele Väter und Mütter geglaubt. Sie haben fleißig die Rute geschwungen und das Liebe genannt.

In den vielen von Haß geprägten Kindheitsschilderungen der Literatur wimmelt es von solchen häuslichen Tyrannen, die ihre Kinder durch Furcht und Schrecken zu Gehorsam und Unterwerfung gezwungen und dadurch für das Leben mehr oder weniger verdorben haben. Zum Glück hat es nicht nur diese Sorte von Erziehern gegeben, denn natürlich haben Eltern ihre Kinder auch schon von jeher mit Liebe und ohne Gewalt erzogen. Aber wohl erst in unserem Jahrhundert haben Eltern damit begonnen, ihre Kinder als ihresgleichen zu betrachten und ihnen das Recht einzuräumen, ihre Persönlichkeit in einer Familiendemokratie ohne Unterdrückung und ohne Gewalt frei zu entwickeln.

 

Nun mögen sich viele Eltern beunruhigt durch diese neuen Signale fragen, ob sie es bisher falschgemacht haben. Ob eine freie Erziehung, in der die Erwachsenen es nicht für selbstverständlich halten, daß sie das Recht haben zu befehlen und die Kinder die Pflicht haben, sich zu fügen, womöglich nicht doch falsch oder gefährlich sei.

Freie und unautoritäre Erziehung bedeutet nicht, daß man die Kinder sich selber überläßt, daß sie tun und lassen dürfen, was sie wollen. Es bedeutet nicht, daß sie ohne Normen aufwachsen sollen, was sie selber übrigens gar nicht wünschen.

Jenen aber, die jetzt so vernehmlich nach härterer Zucht und strafferen Zügeln rufen, möchte ich das erzählen, was einmal eine alte Dame berichtet hat. Sie war eine junge Mutter zu der Zeit, als man noch an diesen Bibelspruch glaubte, dieses »Wer die Rute schont, verdirbt den Knaben«. Im Grunde ihres Herzens glaubte sie wohl gar nicht daran, aber eines Tages hatte ihr kleiner Sohn etwas getan, wofür er ihrer Meinung nach eine Tracht Prügel verdient hatte, die erste in seinem Leben. Sie trug ihm auf, in den Garten zu gehen und selber nach einem Stock zu suchen, den er ihr dann bringen sollte. Der kleine Junge ging und blieb lange fort. Schließlich kam er weinend zurück und sagte: »Ich habe keinen Stock finden können, aber hier hast du einen Stein, den kannst du ja nach mir werfen.« Da aber fing auch die Mutter an zu weinen, denn plötzlich sah sie alles mit den Augen des Kindes. Das Kind mußte gedacht haben, »meine Mutter will mir wirklich weh tun, und das kann sie ja auch mit einem Stein.«

Sie nahm ihren kleinen Sohn in die Arme, und beide weinten eine Weile gemeinsam. Dann legte sie den Stein auf ein Bord in der Küche, und dort blieb er liegen als ständige Mahnung an das Versprechen, das sie sich in dieser Stunde selber gegeben hatte: »NIEMALS GEWALT!«

Ja, aber wenn wir unsere Kinder nun ohne Gewalt und ohne irgendwelche straffen Zügel erziehen, entsteht dadurch schon ein neues Menschengeschlecht, das in ewigem Frieden lebt? Ich weiß, daß es eine Utopie ist. Und ganz gewiß gibt es in unserer armen, kranken Welt noch sehr viel anderes, das gleichfalls geändert werden muß, soll es dauerhaften Frieden geben. Aber in dieser unserer Gegenwart gibt es - selbst ohne Krieg - so unfaßbar viel Grausamkeit, Gewalt und Unterdrückung auf Erden, und das bleibt den Kindern keineswegs verborgen. Sie sehen und hören und lesen es täglich, und schließlich glauben sie gar, Gewalt sei ein natürlicher Zustand. Müssen wir ihnen dann nicht wenigstens daheim durch unser Beispiel zeigen, daß es eine andere Art zu leben gibt? Vielleicht wäre es gut, wenn wir alle einen kleinen Stein auf das Küchenbord legten als Mahnung für uns und für die Kinder: NIEMALS GEWALT!

Es könnte trotz allem mit der Zeit ein winziger Beitrag sein zum
Frieden in der Welt.

Der eben gehörte Text ist die Dankrede von Astrid Lindgren anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels vom 22. Oktober 1978. Klingt er nicht sehr aktuell?
Dieser Text hängt bei mir zu Hause im Flur, so dass ihn jeder lesen kann – der will. Wie unsere Toten mahnt er uns die Lebenden das Gewalt keine Lösung ist und das auch wir als Eltern und Großeltern unsere Verantwortung tragen für Frieden in der Welt. 

Wie auch in den vergangenen Jahren prägt auch am Volkstrauertag 2019 ein besonderes Ereignis diese Feierstunde. In 2018 erinnerte ich an die erste bayerische Republik und das Ende des Ersten Weltkrieges, davor prägten Bundestagswahl, die Attentate von Paris und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges die Ansprache zum heutigen Volkstrauertag.

Heuer ist es der Jahrestag des Mauerfalls und die friedliche Wiedervereinigung der beiden Deutschen Staaten. Eine Wiedervereinigung welche am Ende ein geeintes Europa hervorbrachte und durch die EU-Osterweiterung den Fakt schaffte, dass wir heute ausschließlich von befreundeten Nationen umgeben sind. Hier in Furth erinnern wir mit einer zentralen Feier am 28. November an die friedliche Revolution ohne die ich heute nicht zu Ihnen und euch sprechen könnte.

Für unseren zweiten Bürgermeister Josef Fürst und mich ergab sich die einmalige Möglichkeit die Emotionen des Mauerfalls direkt vor Ort in Berlin am vergangenen Wochenende aufzunehmen. Beim Spaziergang entlang der Eastside-Gallery hörten wir um uns Sprachen aus aller Welt. Menschen aus Amerika bis Asien, die gemeinsam mit uns den Jahrestag DER friedlichen Revolution feiern wollen. An der Bösebrücke der Bornholmer Straße berichteten Zeitzeugen von der Nacht vom 09.11. auf den 10.11.1989 als an der damaligen Grenzübergangsstelle der Oberstleutnant Harald Jäger im Befehlsnotstand die Grenze öffnete. Bei einer einzigartigen Videoinstallation wurden am Alexanderplatz die Kernereignisse der friedlichen Revolution medial aufbereitet. Still standen wir da, im Nebel, in der Kälte, in der Dunkelheit. Am Schicksalstag der Deutschen, an dem vor über 100 Jahren in der Novemberrevolution die erste Republik ausgerufen wurde. Als mit dem Marsch auf die Münchner Feldherrenhalle 1923 die NSDAP erstmals ihre Absichten zeigte. Im Jahr 1938 die Synagogen in der Reichskristallnacht brannten und eben vor 30 Jahren friedlich die Berliner Mauer fiel. Still standen wir da und mir stiegen die Tränen in die Augen.

 

Was hatten die Menschen damals in der DDR für ein Glück, das anders als am Tianamen in Peking nur wenige Monate zuvor, im Prager Frühling 1968 oder am 17. Juni 1953 die Waffen schwiegen und die Führung der DDR kapitulierte. Was hatten wir alle für ein Glück, dass mit Glasnost und Perestroika durch Michail Gorbatschow das kleine Fenster für die Wiedervereinigung aufgestoßen wurde und mit den 2+4-Gesprächen die Deutsche Wiedervereinigung möglich geworden ist. Unsere europäischen Nachbarn mussten einen harten und steinigen Weg zurücklegen, der in Ländern wie der Ukraine noch heute zu bewaffneten Konflikten führt. Nicht nur dort, auch in Syrien, in Hongkong, in Burundi und an über zwanzig Orten unserer Welt stehen sich in diesem Moment - wo wir uns hier in Schatzhofen versammeln - Menschen mit Waffen gegenüber.

 

Wir Deutschen haben die einmalige Chance des Herbst 1989 genutzt und das Beste daraus gemacht. Wir leben heute in einem Wohlstand der uns verpflichtet ihn zu teilen. Angelehnt an den Embolismus des „Vater unser“: Es ist Frieden in unseren Tagen.
Und umso mehr tragen wir Verantwortung für diesen Frieden. Zwischen uns in unseren Familien, in unserem Ort, an unserem Arbeitsplatz, in den Vereinen und in der Gesellschaft. Unsere Leben gehören nicht uns allein. Von der Wiege bis zur Bahre sind wir mit anderen Menschen verbunden, in Vergangenheit und Gegenwart. Und mit jedem Verbrechen und jedem Akt der Güte erschaffen wir unsere Zukunft. Wir tragen Verantwortung! Der Volkstrauertag macht uns diese Verantwortung jedes Jahr aufs Neue bewusst. Er schärft unsere Sinne für die Kommunikation des Hasses. Er erinnert uns, dass Gewalt und Terror nicht von den Waffen ausgeht, sondern von den Menschen die zu den Waffen rufen.

 

Ich bin dankbar in diesem friedlichen Deutschland leben zu dürfen. Ich bin gern bereit weiter meinen Beitrag für Frieden und Völkerverständigung zu leisten. Ich möchte auch Sie und euch aufrufen euch immer wieder an die Botschaft des Friedens zu erinnern. Nutzt diesen Tag als Zäsur. Als Erinnerung an all die, die ihr Leben und ihre Freiheit gegeben haben, damit wir gemeinsam hier in Frieden und ohne Angst stehen können. Heute erinnern wir uns besonders an die Menschen die in der DDR wegen ihrer Weltanschauung verfolgt wurden und für Frieden und Freiheit an der Mauer ihr Leben verloren haben.

Bis vor kurzem war ich noch auf Gehhilfen angewiesen. Durch eine Verletzung war ich über 8 Wochen eingeschränkt. Im Rahmen eines Referats über unserer Gemeinde besuchte ich die Stadt Berlin und fuhr dort mit der U-Bahn. Ein Mann bot mir einen Platz an. Ich zögerte. Etwas zu spät entschied ich mich den Platz doch zu nehmen. Doch in diesem Moment fuhr die Bahn an und ich verlor das Gleichgewicht. Im Sekundenbruchteil suchte ich etwas panisch etwas zum Festhalten. Doch dazu kam es nicht. Insgesamt drei Personen griffen nach mir und hielten mich fest das ich nicht fiel. Wie selbstverständlich. 

Wir gedenken heute gemeinsam in unserer Gemeinde zum 99. Mal den Gefallenen der Kriege. Im Jahre 1918 endete mit über 17 Millionen Toten der Erste Weltkrieg. In  Europa, im Nahen Osten, in Afrika, Ostasien und auf den Ozeanen fielen Soldaten und kamen zahlreiche Zivilisten ums Leben.
Die aktuellen Tage sind bedeutungsschwanger und erinnern an allen medialen Enden an die Schrecken des Ersten Weltkrieges und seine negativen und aber auch positiven Folgen. Denn mit der Revolution und der Abdankung der Monarchie wurden elementare demokratische Faktoren in unserer deutschen Gesellschaft etabliert. In München wurde durch Kurt Eisner und die bayerische Arbeiter, Bauern und Soldatenregierung die Münchner Räterepublik ausgerufen. Es wurde das Frauenwahlrecht eingeführt und erste Schritte der Gerechtigkeit im Arbeitsleben im Wahlrecht und in der Gleichberechtigung von Mann und Frau begangen. Das Regierungssystem der Monarchie hatte ausgedient und wurde durch die Demokratie ersetzt.

Doch wie es immer geschieht, fraß auch die Revolution der Räterepublik ihre Kinder. Der bisher einzige bayerische SPD-Ministerpräsident Kurt Eisner wurde durch einen Anhänger der Thule-Bewegung ermordet.

Die tiefe Spaltung, welche das Ende des ersten Weltkriegs, die Dolchstoßlegende und der Vertrag von Versaille in Deutschland verursachte, waren die Voraussetzungen das ein nationalsozialistisches System überhaupt entstehen konnte. Die Belastungen, welche Deutschland auferlegt wurden mündeten am Ende in den Aufstieg des Nationalsozialismus, die Machtergreifung, vor 80 Jahren in die Reichskristallnacht und in den zweiten Weltkrieg.

Die Toten mahnen uns!
In unseren alltäglichen Leben ist es ganz normal, dass es Konflikte mit anderen Menschen gibt. Mit Arbeitskollegen, Vorgesetzten oder vielleicht auch dem Partner. In diesen Konflikten spüren wir oft wie sich eine Grenze nach der anderen nähert. Wie es am Anfang um die Sache geht. Später darum Recht zu behalten. Dann überhaupt die Oberhand, die Lufthoheit über den Konflikt zu sichern. Das nennt man eine Eskalation. Wenn nicht das grundlegende Verständnis, der grundlegende Wille nach Frieden und einer Lösung in jeder Auseinandersetzung in uns wohnt kann diese Eskalation sich weiter verschärfen. Dann geht es mir auf einmal darum dem anderen Schaden zuzufügen. Und am Ende nur noch darum ihn psychisch, gesellschaftlich oder sogar physisch zu vernichten.

Die Toten mahnen uns! Sie mahnen uns nach Frieden zu streben. Den Anheizern dieser Welt keinen Raum zu geben. Selbst die Schwachen zu unterstützen und die Verantwortung für Hilfsbedürftige zu übernehmen.

Wir tragen diese Verantwortung und wir müssen ihr gerecht werden. Sei es durch kleine Gesten wie das Halten damit jemand nicht stürzt oder durch eine aktive Entscheidung Teil einer besseren Welt sein zu wollen. Lassen Sie uns auch im nächsten Jahr - in dem sich die deutsche Wiedervereinigung zum 30. Mal jährt - mit wachsamen Augen durch die Welt gehen, dem Freund ein Freund sein und Frieden stiften. Dann wäre der Tod unserer Vorfahren nicht umsonst gewesen. Dann hätten wir etwas daraus gelernt.      

Dieser Tage verfolgen wir in Deutschland und Österreich die Diskussionen über die Regierungsbildung. Direkt nach der jeweiligen Wahl war die Ausgangslage vermeintlich klar. In Österreich wird es schwarz-blau und in Deutschland schwarz-gelb-grün werden, um eine Mehrheitsregierung auf den Weg zu bringen. In Spanien war die Ausgangslage vor zwei Jahren eine Ähnliche. Doch selbst nach der dritten Neuwahl waren immer noch keine stabilen Verhältnisse entstanden. Hier kennen Sie die Folge aus den Medien, die mit der Inhaftierung des katalonischen Ministerpräsidenten endete.

Vor ein paar Tagen kam eine Frau zu mir und zeigte mir bei einer Haushaltsauflösung gefundene großformatige Bilder mit den Gefallenen und Vermissten Soldaten des Ersten Weltkrieges. Wenn ich die Namen auf diesen Bildern gelesen habe, gibt es kaum einen Namen, der nicht in Arth, Furth und Schatzhofen bekannt ist. Gut, früher gab es in den Familien mehr Kinder als heute. Und doch ist es erschreckend zu sehen, dass von einzelnen Familien vier oder fünf Söhne kämpften und nur einer oder zwei aus dem Krieg zurückkehrten.

Wie gehören nun diese beiden Situationen zusammen? Nach dem zweiten Weltkrieg fuhren Eltern oft mit ihren Kindern in die zerbombten Städte um Ihnen zu zeigen, dass sie nun die Verantwortung tragen, dafür dass nie wieder ein Krieg von deutschem Boden ausgehen darf.  Meine Generation ist schon wieder die Nachfolgegeneration und auch deren Nachfolgegeneration macht sich auf, ihren Platz in Deutschland und Europa zu finden und Verantwortung in unserer Demokratie zu übernehmen. Doch was passiert nun, wenn die gesamte Politik in Europa einen Rechtsruck vollzieht?  Ganz ehrlich. Ich weiß es auch nicht. Ich glaube nur, dass uns, die wir hier heute stehen eine große Verantwortung zukommt. Sie und ich haben die Sensibilität für das Grauen und Leid, welches Kriege anrichten können, sonst wären Sie heute am Volkstrauertag nicht hierhergekommen. Etwas mehr Konservativität oder vielleicht ein Rückbesinnen auf die konservativen Werte unseres Landes ist sicher an der Zeit. Doch es ist unsere Aufgabe die Augen offen zu halten und wachsam zu sein. Damit aus konservativem Denken kein Hass und aus Hass keine Gewalt wird. Es ist unsere Aufgabe wachsam zu sein, dass bei allem schwarz-weiß die Graustufen erhalten bleiben und auch Minderheiten sich in Deutschland noch sicher fühlen können.

Doch was können wir tun? Wo liegt meine Verantwortung?

Der Ansatzpunkt ist wie schon damals bei unseren eigenen Kindern und Enkelkindern. Wir leben in einem großen Wohlstand und unsere Kinder wachsen in diesen Wohlstand hinein. Sie kennen kein Leid, keinen Krieg, keine Verfolgung und wissen nicht, was es bedeutet in einem Unrechtsstaat zu leben. Es ist unsere Aufgabe nicht nur heute hier am Volkstrauertag uns der Gefallenen der zwei Weltkriege und ihrer Botschaft zu erinnern und diese Botschaft an unsere Kinder weiterzugeben. Es ist unsere Aufgabe die Mahnung der Toten in unseren Alltag hineinzunehmen. Es ist unsere Aufgabe die Einigkeit Europas zu suchen und zu unterstützen, Schwache vor körperlicher und psychischer Gewalt zu schützen und dafür zu sorgen, dass nie wieder ein Krieg von deutschem Boden ausgehen kann. Oder mit den Appell aus einer Liedstrophe ausgedrückt:  Lasst das Licht des Friedens scheinen, dass nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint.

Lassen Sie uns nun in einer Schweigeminute an diejenigen denken, die uns zeigen, was Freiheit und Frieden wert sind: an die Opfer von Unrecht und Terror in Deutschland und Europa, und an die Opfer von Kriegen in der ganzen Welt.

In Erinnerung der Gefallen und Vermissten der beiden Weltkriege und im Namen der Gemeinde Furth lege ich diesen Kranz nieder.

Nur noch fünf männliche Zeitzeugen (Waldherr, Prentner, Noderer, Bauer, Halbinger) des letzten Krieges auf deutschem Boden leben in unserer Gemeinde. Dem einen geht es ganz gut, dem Anderen vielleicht schon seit längerer Zeit nicht mehr. In Gesprächen zu Geburtstagen und Jubiläen kommen wir immer wieder auf das eine Thema zu sprechen. Krieg, Vertreibung und Gefangenschaft. Damals, als die 16-20 Jährigen Schützen im Jahr 1944 in größter Kälte in den Schützengräben von Ost- und Westfront lagen. Die nackte Angst um das eigene Leben als ständiger Begleiter. Der Kamerad neben ihnen weinend und nach der Mutter rufend, weil ihn ein Granateneinschlag schwer verwundet hat. Damals! Erlebtes hundertfaches und tausendfaches Leid. Sie kamen oft erst nach Jahren der Kriegsgefangenschaft heim in eine Heimat, die noch die alten Namen trug. Aber sich vollkommen verändert hat. Sie mussten sich mit ihren Schicksalen der verlorenen Brüder und Väter auseinandersetzen. Mit ihren eigenen Erlebnissen und spätestens ab den 60ger Jahren mit der Frage: Wer hat Schuld?

Der heutige Volkstrauertag soll uns an die Leiden von damals erinnern. Soll unsere Verantwortung bewusst machen und die Bevölkerung sensibel machen, vor allzu einfachen Antworten. Vor schwarz und weiß.

Doch schauen Sie einmal nach rechts und links zu ihrem Nachbarn. Hier heute stehen Jahrein Jahraus die gleichen Menschen und hören sich die Rede zur Bewahrung und zum Schutz des Friedens an. Die gleichen mahnenden Worte von globaler Verantwortung und Einsatz für den Nächsten. Doch warum sind es immer die Gleichen wenigen Menschen die hier stehen und sich gemeinsam der Gefallenen und des Leids aus Tod und Vertreibung erinnern? Wo sind all die anderen Vereine, Bürgerinnen und Bürger unserer über 3500 Einwohner starken Gemeinde?

Es leben nur noch fünf männliche Zeitzeugen in unserer Gemeinde. Krieg und Vertreibung. Hunger und Angst haben seit Jahrzehnten ihre Bedeutung verloren. Wir kennen sie nicht. Und haben dann wenn sie doch leise an die Tür klopfen gute Mechanismen des Seelenheils entwickelt um nicht nachdenken zu müssen. Doch verstehen Sie mich richtig! Denn auch der Volkstrauertag unterliegt einer Notwendigkeit. Der Notwendigkeit gebraucht zu werden.  Vielleicht sollten wir uns daher eher sogar bestätigt fühlen! Denn sagt die Präsenz auch immer etwas über die Relevanz. Wir haben Frieden in unseren Tagen. Keinen globalen Frieden. Aber Frieden hier in Schatzhofen, in Niederbayern und in Deutschland. Wir sind seit Jahrzehnten verschont von Generalmobilmachungen. Und am 03. Januar 2011 wurden die letzten Rekruten im Sinne der „alten Wehrpflicht“ zur Bundeswehr einberufen.   

Krieg und Leid spielt zumindest unmittelbar für unsere Gesellschaft keine Rolle. Genau aus diesem Grund stehen jedes Jahr keine neuen, sondern die Altbekannten an den Gedenksteinen der Gefallenen und Vermissten. Sie sind nicht die gestrigen, die vor einem Krieg mahnen, den es nicht gibt. Nein! Gerade sie alle hier sind diejenigen, die die Sensibilität und die Achtsamkeit für die Geschehnisse in unserer Welt tragen. Ich danke Ihnen im Namen der gesamten Gesellschaft für diese Verantwortung, die Sie übernehmen. Halten Sie das Wissen um Leid und Schicksal der Großväter aktuell und mischen Sie sich ein, wenn die Masse zu den Fragen schweigt und die einfachen Lösungen erdrutschartig bejubelt. Geben Sie den Toten die Stimme, die sie selbst nicht mehr haben.

Lassen Sie uns nun in einer Schweigeminute an diejenigen denken, die uns zeigen, was Freiheit und Frieden wert sind: an die Opfer von Unrecht und Terror in Deutschland und Europa, und an die Opfer von Kriegen in der ganzen Welt.

Heute, am Volkstrauertag, erinnern wir uns in ganz Deutschland an die Opfer von Terror und Gewaltherrschaft. Millionen Menschen mussten sterben und geben auch heute noch ihr Leben, weil nicht Frieden sondern Krieg herrscht.

Wir sind es gewohnt von Freunden umgeben zu sein. Wir kennen keinen Krieg und auch unserer Eltern waren Kinder, als der letzte Krieg auf deutschem Boden zu Ende ging. Und doch sind zu dieser Stunde unsere Brüder und Schwestern, unsere Nachbarn und Freunde in sogenannten Kriseneinsätzen auf dieser Welt unterwegs um unsere Freiheit in Afghanistan, an der Türkischen Grenze zu Syrien und an 13 weiteren Standorten außerhalb von Deutschland zu verteidigen.

Wir sollen die Augen und die Ohren offen halten. Wir sollen die Entwicklungen hinterfragen und auf die Rhetorik der Kriegstreiber achten. Sobald die Antworten Schwarz und Weiß werden und die Farben wie an einem nasskalten Sonntag im November verschwinden, gedeiht die Saat von Spaltung, Neid und Hass.

Eine menschenverachtende Ideologie, durch islamischen Fundamentalismus verbrämt, kämpft gegen den Pluralismus, die Freiheiten und die Demokratie unserer westlichen Gesellschaft.

Das Resultat ist in Ländern wie Syrien, dem Senegal und Somalia an verstümmelten, gefolterten und bestialisch getöteten Menschen abzulesen. Was muss uns hier in Furth wiederfahren, dass wir bereit sind, Freunde, Familie und unsere gesamte Gemeinde zurückzulassen um in eine ungewisse Zukunft in der Fremde zu gehen?

Vor ziemlich genau 25 Jahren spielte sich der gleiche Exodus zwischen DDR und der BRD ab. Waren Flüchtlingslager in Bayern eingerichtet worden, um das Heer an Ausreisewilligen aus der ehemaligen DDR aufzunehmen. Heute stehen wir im Landkreis Landshut wieder vor einer Flüchtlingswelle. Und wieder werden wir nach unserer demokratischen Verantwortung für die Flüchtlinge gefragt. Lasst uns mit den Gemeinden unseres Landkreises zusammenstehen und durch Solidarität unseren Vätern und Großvätern beweisen, dass wir aus Ihrem Tod etwas gelernt haben.

Die Toten mahnen uns, wachsam zu sein und das versöhnliche Wort zu sprechen sowie die caritative Tat zu leisten. 

Lassen Sie uns nun in einer Schweigeminute an diejenigen denken, die uns zeigen, was Freiheit und Frieden wert sind: an die Opfer von Krieg, Unrecht und Terror – an die Opfer in Deutschland, in Europa, in der ganzen Welt.